Schweizer Illustrierte

16. Februar 2011
WM in Zeiten der Cholera
Früher waren Ski-Exoten an einer WM noch noch eine echte Sensation. Inzwischen sind Storys über Kenianer, Brasilianer oder Irgendwasaner auf Ski nicht mehr ganz so witzig. Aber Jean-Pierre Roy ist, so finden wir, trotzdem eine Geschichte wert.

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© RDB/SI/Herv - Le Cunff


Erstens ist er bereits 47 Jahre alt. Zweitens ist er bereits Grossvater, sein Enkelkind ist 2-Jährig. Und drittens kommt er aus Haiti. Und dort sind Ski-Fahrer etwa so selten sind wie Schweizer Medaillen an dieser Ski-WM.
Jean-Pierre Roy hat eine Mission. Für einmal soll sein Land nicht wegen einem Erdbeben, einer Cholera-Epidemie oder einer anderen Katastrophe in den Schlagzeilen stehen. «Haiti soll einfach ein Land wie jedes andere sein.» Deshalb hat er im vergangenen Herbst den haitianischen Ski-Verband gegründet. Das Präsidenten-Amt hat er sich gleich selber zugeschanzt, die weiteren Verbandsposten hat er durch Verwandte besetzt. Insofern unterscheidet er sich nicht wirklich von seinen Landsleuten in der haitianischen Politik. Aber wir wollen mal nicht allzu kritisch sein.
Seit er acht Jahre alt ist geht Roy, der ein IT-Unternehmen mit zehn Angestellten führt, jedes Jahr eine Woche Ski fahren. Dass wird kaum reichen, um den Cracks der grossen Ski-Nationen das Fürchten zu lehren. Aber wer weiss: Wenn, wie in der Super-Kombi, alle Schweizer ausscheiden und Roy das Ziel erreicht, wird Haiti für einmal vor der Schweiz stehen.Das wäre für uns dann ein wenig peinlich. Schliesslich nimmt Haiti zum ersten Mal überhaupt an einem Wintersport-Grossanlass teil.
Doch Achtung, dieser Roy ist nicht zu unterschätzen. Immerhin trinkt er seit zwei Monaten kein Bier mehr und geht drei Mal die Woche joggen. Seine Ziele steckt er trotzdem nicht sehr hoch: Er möchte nur heil im Ziel ankommen. Deshalb fährt er die Quali für den Riesenslalom und den Slalom. «Ich wäre gerne auch die Abfahrt gefahren, aber da hatte ich zu grossen Schiss.»