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Der Pisten-Opa aus Haiti

14.02.2011, 19:27 Uhr | Das Interview führte Jörg Hausmann

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Jean-Pierre Roy geht mit stolzgeschwellter Brust für Haiti an den Start. (Foto: Reuters)
Jean-Pierre Roy vertritt bei der Ski-WM die Farben seines Landes. Doch er ist kein Österreicher, Franzose oder Kanadier. Roy startet für Haiti und freut sich im Interview mit t-online.de, dass er als Pionier bei der WM auf die Piste gehen kann.
Sein besonderer Dank geht an FIS-Generalsekretärin Sarah Lewis, die seine Teilnahme an den Titelkämpfen erst möglich machte.
t-online.de: Wie fühlen Sie sich, für Haiti Teil dieser WM zu sein?
Jean-Pierre Roy: Es ist wundervoll, ein Traum. Noch vor ein paar Monaten wusste ich nicht, ob ich dabei sein werde. Es ist ein wahres Vergnügen, wirklich unglaublich.
Sie waren also noch nie bei einem großen Ski-Event dabei?
Richtig. Es ist das erste Mal – für Haiti und für mich. Haiti kannte bisher keine Wintersportler. Ich bin sehr stolz, hier zu sein. Erstmals kann sich Haiti als Nation ohne das Desaster des Erdbebens zeigen. Das ist sehr wichtig. Es war mein Ziel, dass Haiti mit einer positiven Vision assoziiert wird. Jeder kennt Haiti. Und wenn ich frage, weswegen, antworten die Menschen: "Wegen seiner Armut, seiner Misere und dem Desaster des Erdbebens."

JP2Jean-Pierre Roy geht in Garmisch-Partenkirchen für Haiti an den Start. So will er auf das Leiden in seiner Heimat aufmerksam machen

Wie kommt man als Haitianer mit dem alpinen Skisport in Kontakt?
Da es auf Haiti im Jahr nur zwei Tage mit Schnee gibt, besteht dort keine Chance, Ski zu fahren. Ich lebe in Frankreich. Dorthin sind meine Eltern mit mir 1965 ausgewandert. Wir kamen in die Nähe von Paris. Geboren wurde ich 1963 in Port-au-Prince. Mit acht Jahren war ich erstmals zum Skifahren in den französischen Alpen. Es hat mir Spaß gemacht, ich mochte es. Ab diesem Zeitpunkt stand ich pro Jahr eine Woche lang auf den Skiern. Wie jedermann bin ich ein guter Amateurskifahrer. Ich liebe die weiße Piste, den Schnee, die Kälte – alles sehr ungewöhnlich für einen Haitianer.
Wie entstand dann die Idee, an der WM in Garmisch-Partenkirchen teilzunehmen?
Ich war 2009 bei den Weltmeisterschaften in Val d’Isére. Mit meinem Freund schaute ich mir den Super-G der Damen an. Um an dem teilzunehmen, gab es kein Qualifikationsrennen. Mein Freund und ich sahen, wie die Nummer 110 große Schwierigkeiten mit dem Kurs hatte. Ich sagte zu meinem Freund: "Meinst Du, ich würde das packen?" Er antwortete: "Natürlich." Es war eigentlich als Witz gedacht. Aber ich erwiderte: "Ich werde das versuchen, für Haiti."
Aus dem Witz wurde also Ernst.
Genau. Im Oktober 2010 war ich in Haiti. Zehn Monate waren seit dem Erdbeben vergangen. Was ich mit meinen Augen sah, war furchtbar. Ich fragte mich, was ich für Haiti tun könnte. Alles, was ich habe, habe ich Frankreich zu verdanken. Im Herzen bin ich Franzose, meine Wurzeln aber liegen auf Haiti. Also sagte ich mir: "Nimm an den Ski-Weltmeisterschaften teil!"
Wie sah Ihr erster Schritt aus?
Wir kontaktierten die FIS. Es war ein unglaubliches Gefühl, mit der Generalsekretärin Sarah Lewis zu sprechen. Lewis beantwortete uns all unsere E-Mail-Anfragen, egal, wann wir schrieben. Sie war 24 Stunden am Tag für uns da. Sie half uns bei allen Schritten, einen Skiverband für Haiti ins Leben zu rufen. 

Welche Personen gehören ihm an?
Ich bin dessen Präsident und einziger Fahrer. Wir haben genau eine FIS-Lizenz. Einer meiner Cousins ist der Generalsekretär, der andere ist der Schatzmeister. Gemeinsam mit den Jungferninseln erklärte uns die FIS am 6. November 2010 zu Mitgliedern.
Damit war der Weg nach Garmisch frei.
Zunächst sagte ich: "Oh Gott, es ist Wirklichkeit. Nun muss ich es durchziehen." Seit diesem 6. November lief die Vorbereitung. Das war alles andere als einfach. Ich gründete eine Firma mit zehn freien Mitarbeitern, und meine ganze Familie ist involviert.
Haben Sie einen Sponsor gewonnen?
Rossignol stellt uns die Skier und die Helme. Aber ansonsten bin ich auf der Suche nach Unterstützung. Ich sammle für die französische Hilfsorganisation "Secours populaire francais", die auf Haiti Schulen baut. Mit solchen Erziehungsprogrammen kann ich Tausende Menschen retten. Und ich engagiere mich für "Alima". Sie bekämpfen auf Haiti die Cholera und sorgen sich um die chirurgische Medizin.
Und was ist mit ihren sportlichen Ambitionen?
Ich habe mich mit 20 Trainingstagen auf die WM vorbereitet – und das im Alter von 47 Jahren. Ich bin schon Großvater, habe eine 22-jährige Tochter und einen zweijährigen Enkelsohn. Einen Opa bei einer Ski-WM hat es zuvor noch nicht gegeben.
Und dieser Opa ist mutig genug, die Kandahar herunterzufahren?
Für die Qualifikation (Roy tritt im Riesenslalom und dem Slalom an, Anmerk. d. Verf,) reicht mein Mut noch. Aber das Hauptrennen? Nein, davor hätte ich wirklich Angst. So eisig, so schwierig, und bis zu 92 Prozent Gefälle. Alles, was ich will, ist meine Fähigkeiten auf Skiern zu trainieren, das Rennen durchzustehen und mit meinen beiden Skiern im Ziel anzukommen.
Wie haben denn die anderen Athleten auf Sie reagiert?
Als ich zum ersten Mal angetreten bin, fragten sie, was denn hier ablaufe, was wir denn hier wollten. Als wir Ihnen aber sagten, warum wir hier sind, änderten sich die Reaktionen komplett. Ich habe jetzt vier Rennen bestritten. Und jedes Mal baten mich die drei Erstplatzierten, mit aufs Podium zu kommen, auf dem Siegerfoto dabei zu sein – für Haiti.
Sie wissen, dass sich Garmisch-Partenkirchen durch diese WM auch Pluspunkte erhofft für die gemeinsame Olympia-Bewerbung mit München 2018. Aber mit Annecy ist auch ein französischer Kandidat im Rennen. Würden Sie jetzt trotzdem Garmisch Olympia 2018 wünschen?
Garmisch ist richtig schön. Aber wenn ich darüber zu entscheiden hätte, dann ist mein Herz französisch.