12/02/2011
Der Haitianer Jean-Pierre Roy im Porträt
Von Robert Schöffel, Garmisch-Partenkirchen
Jean-Pierre Roy nimmt mit 47 Jahren an seiner ersten Ski-WM teil. Es ist ein einziges großes Abenteuer für den Haitianer - allerdings macht er das nicht nur zum Spaß. Denn er hat auch eine Botschaft zu verkünden.
Jean-Pierre Roy steht beim Super-G der Herren im Zielraum der Kandahar. Stars wie Bode Miller und Didier Cuche kämpfen sich die eisige Piste hinunter. Unten balgen sich die Journalisten um Interviews mit den Athleten, der Stadionsprecher und die Musik sorgen für einen gehörigen Lärmpegel, überall herrscht hektische Betriebsamkeit. Roy steht etwas im Hintergrund und genießt es, auch eine kleine Nebenrolle bei dieser Großveranstaltung zu spielen. Selbst fährt er beim Super-G nicht mit, denn auf der schwierigen Strecke würde er seine Gesundheit riskieren. Von seinem Auftreten her könnte man ihn aber fast für einen der waghalsigen Abfahrtsläufer halten. Er ist bullig, hat kurzgeschorene Haare, ist gekleidet in einen Skianzug mit Nationalflagge und hat stets einen Mann im Partnerlook an seiner Seite. Doch seine leuchtenden Augen verraten, dass er das hier alles zum ersten Mal so hautnah miterlebt. Dabei ist er schon 47.
Angefangen hat alles mit einem Witz, erzählt er. Mit einem Freund stand Roy im Jahr 2009 unter den Zuschauern bei einem Weltcup-Rennen der Frauen in Val d'Isère. "Du bist ein Haitianer, warum nimmst du nicht nicht auch an einem Skirennen teil", fragte ihn sein Begleiter. "Ja klar, warum nicht?", antwortete Roy. Damit war der Witz auch schon vorbei und erst einmal vergessen. Bis er im Oktober 2010 seine Heimat Haiti, die er mit zwei Jahren in Richtung Frankreich verließ, besuchte. Das Elend, das er dort über ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben sah, machte ihm klar: "Du musst etwas für Haiti tun." Er erinnerte sich an den Scherz und beschloss, die verrückte Idee in die Tat umzusetzen. Er wollte bei der Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen starten und seinem Mutterland damit neue Öffentlichkeit verschaffen. Denn noch immer sind die Zustände dort katastrophal und Spenden dringend notwendig.
Viel Papierkram war nötig und die Zeit war knapp, doch im November 2010 war es geschafft: Er hatte den Haitianischen Skiverband gegründet, war gleichzeitig dessen Präsident und einziges Mitglied und wurde vom Internationalen Skiverband FIS als Mitglied anerkannt. Als Trainer engagierte er kurzerhand seinen Freund Thierry, der mit seinem Scherz die ganze Sache ins Rollen gebracht hatte und seitdem immer an seiner Seite ist. Roy war von nun an klar: "Das ist jetzt kein Witz mehr. Ich muss das jetzt machen." Obwohl er erst seit acht Jahren auf Skiern steht und nicht viel besser fährt als viele Hobbysportler, schaffte er es, sich bei FIS-Rennen die nötigen Punkte für einen WM-Start zu holen. Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Sogar einen Sponsor für Skier und Schuhe hat er gefunden. Ob er wirklich an einer Medaillen-Entscheidung teilnehmen darf, ist jedoch unwahrscheinlich. Denn in seinen Disziplinen Slalom und Riesenslalom sind nur die besten 50 Fahrer der Welt gesetzt. Die anderen müssen sich in Ausscheidungsrennen qualifizieren. Und Roy weiß, dass er unter normalen Umständen chancenlos ist. Sein sportliches Ziel ist es deshalb, "nicht hinzufallen".