ORF 16/02/2011

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„Es macht mich sehr stolz“
Großväter sind ebenso eine Seltenheit bei einer alpinen Ski-Weltmeisterschaft wie Läufer aus Haiti. Jean-Pierre Roy vereint beides in sich. Der 47-Jährige ist der erste Teilnehmer seines Landes bei einer derartigen Veranstaltung. Für Roy ist sein Antreten in Garmisch-Partenkirchen aber mehr als Jux und Tollerei. Er verfolgt ein höheres Ziel, nämlich das Leid in seiner Heimat nach dem Erdbeben wieder in Erinnerung zu rufen.
„Es macht mich unglaublich stolz, dass ich Haiti repräsentieren darf“, erklärte er. Mit wie viel Herzblut der in einem Vorort von Paris wohnende Roy bei der Sache ist, wurde klar, als er danach in Tränen ausbrach und einige Minute um Fassung rang. „Verzeihen Sie mir, aber es sind große Emotionen dabei“, entschuldigte sich Roy, der am Donnerstag in der Qualifikation für den am Freitag stattfindenden Herren-RTL antreten wird und sich auch für den Slalom versuchen wird zu qualifizieren.
Traum von der erfolgreichen Qualifikation
Seine Ziele dabei sind niedrig gehalten. In erster Linie will er den Sprung in den Hauptbewerb schaffen. „Sollte mir das gelingen, dann möchte ich mich natürlich nicht blamieren und mit beiden Beinen nach oben statt nach unten ins Ziel kommen“, scherzte Roy, der als Zweijähriger mit seinen Eltern aus politischen Gründen nach Paris auswanderte und erstmals mit acht Jahren bei einem Schulskikurs in den französischen Alpen auf Ski stand. Von da an mochte er die Kälte und den Schnee.
Der haitianische Ski-Exot Jean Pierre Roy trägt seine Skier auf der Schulter
GEPA/Mario Kneisl
Roy hatte viele Hürden auf dem Weg bis zur WM-Teilnahme zu überwinden.
Seit damals geht er regelmäßig für eine Woche im Jahr in die Berge. „Für einen Nichtprofi bin ich ein ziemlich guter Skifahrer, gewöhnliche Pisten sind kein Problem für mich. Aber hier bekomme ich schon ein wenig Angst“, erklärte der IT-Spezialist, der auf weiche und nicht eisige Verhältnisse hofft, um sich seinen Traum zu erfüllen, in einem Lauf mit Größen wie Ted Ligety, Ivica Kostelic und Benjamin Raich zu stehen.
Hilfe für Haiti
Bis es so weit war und sich Roy in seinem neuen in den Nationalfarben von Haiti gehaltenen Rennanzug präsentieren durfte, musste er allerdings einige Hürden überwinden. Angefangen hat alles bei einem Heimatbesuch letzten Oktober. Erschüttert von den Ausmaßen der Zerstörung seiner im Jänner 2010 von einem verheerenden Erdbeben heimgesuchten Heimat, sagte er zu sich selbst: „Es muss einen Weg geben, wie ich diesem Land helfen kann.“ Die Idee von der Teilnahme an der Weltmeisterschaft war geboren.
Zuerst kontaktierte Roy die FIS, die ihn in seinem Ansinnen unterstützte. Danach brauchte er allerdings noch das Okay von Haitis Olympischem Komitee und der Regierung. „Jeder hat uns von diesem Projekt abgeraten“, erzählte Roys Coach Thierry Montillet. Die Einholung der Erlaubnis wurde zum Spießrutenlauf mit gutem Ausgang. Am 6. November 2010 nahm die FIS Haiti als jüngstes Mitglied in der Skifamilie auf. „Damals habe ich mir gedacht, das ist kein Witz mehr, das musst du jetzt durchziehen“, erinnerte sich Roy, der einzige, der Athlet, Teamkapitän und Präsident in Personalunion ist.
Zu Beginn noch belächelt
Roy und Montillet, die ihr Projekt mit einem Aufwand von 15.000 Euro selbst finanzierten, starteten ausgestattet mit einer Ausrüstung von Rossignol die Vorbereitung. Bei seiner ersten Teilnahme an einem FIS-Rennen wurde Roy noch belächelt. „Sie sagten, ich hätte hier nichts zu suchen. Es war eisig und neblig und es war ein schlechtes Rennen von mir. Ich bin als Letzter gestartet und kam auf Platz 25, weil gleich 67 Läufer ausgeschieden sind. Das war mein Start“, sagte Roy.
Es folgten 20 Tage Schneetraining, an denen Roy und sein Coach an Technik und Fitness arbeiteten. „Ich habe vielleicht noch ein paar Kilo zu viel, aber ich bin Laufen und Radfahren gegangen und mit meiner Skimaschine, mit der ich Links- und Rechtsschwünge trainieren kann, habe ich in der Garage geübt. Außerdem habe ich aufgehört Bier zu trinken“, erzählte Roy, der alle, die Ski fahren, als seine Vorbilder nennt. Besonders hat es ihm aber Frank Piccard, der französische Super-G-Olympiasieger von 1988 in Calgary, angetan. Auch Elisabeth Görgl („Mit ihr frühstücke ich jeden Morgen“) findet er gut.
„Haiti ist ein wundervolles Land“
Noch viel besser würde er es aber finden, wenn sein Projekt „L’Or Blanc pour Haiti“ („Weißes Gold für Haiti“) wieder zu Spenden führen würde, um das Leid in seiner Heimat zu mildern. Auch will er seine Heimat wieder in ein positiveres Licht rücken, das mehr zu bieten habe als Meldungen über Katastrophen und Korruption. „Haiti ist ein so wundervolles Land. Wir brauchen Geld, aber auch Leute, die es richtig einsetzen, damit wir wieder ein Land werden, wo man Urlaub machen kann“, erklärte Roy.
Er würde gerne sehen, wenn mit Spenden Schulen gebaut würden, denn „mit Bildung kann man Tausende Leben retten“. „Diese Geschichte soll Hoffnung geben. Jean-Pierre und ich haben gemeinsam etwas geschafft. Wenn man positiv denkt, kann man etwas auf die Beine stellen“, erklärte Montillet, der wie Roy von einer Zukunft mit einem größeren Skiteam aus Haiti und vielleicht sogar von einer Teilnahme an Olympischen Spielen träumt.
Olympische Spiele und Nachwuchs als Ziel
Unbemerkt blieb Roys Einsatz, der mittlerweile auch in der Heimat mehr als nur akzeptiert wird, nicht. „Vor ein paar Tagen hat mich ein Brief von einem französischen Ehepaar, das einen haitianischen Buben adoptiert hat und in den Bergen lebt, erreicht. Er ist zehn Jahre alt und steht seit seinem vierten Lebensjahr auf Ski. In ein paar Jahren könnte er ein guter Rennläufer sein“, hofft Roy, dass seine Bemühungen auch sportlich auf fruchtbaren Boden fallen.


Christian Wagner, ORF.at in Garmisch