BietigheimerZeitung

GARMISCH-PARTENKIRCHEN, 16. FEBRUAR 2011

Ein Opa fährt auf die WM ab

Der 47-jährige Jean-Pierre Roy startet für Haiti, um seiner Heimat zu helfen

Emotionale Momente gab es bei der Ski-WM schon einige, doch gestern folgte der wohl bewegendste: Jean-Pierre Roy, geboren in Port-au-Prince, erzählte unter Tränen, warum er für seine Heimat Haiti startet.

Bild zum Artikel: Ein Opa fährt auf die WM abJP1

Jean-Pierre Roy, der 47-Jährige aus Haiti, ist bereit für seinen WM-Auftritt. Foto: dpa

Von den Cool Runnings angefangen, den Jamaikanern, die 1988 bei den Olympischen Winterspielen im Viererbob an den Start gingen, über den britischen Skispringer Eddie "the Eagle" Edwards bis hin zum "Schneeleoparden" Kwame Nkrumah-Acheampong aus Ghana, der die weltöffentliche Aufmerksamkeit bei den Winterspielen in Vancouver suchte - die Liste der Exoten bei Großveranstaltungen ist lang. Oft belächelt, noch öfter ausgelacht.

Nun schickt sich mit Jean-Pierre Roy einer aus Haiti an, der bei der Ski-WM eigentlich auf den ersten Blick das Zeug dazu hat, in die Rolle der sportlichen Witzfigur zu schlüpfen: Unschwer ist zu erkennen, dass "Rasta Piquet" zu viele Kilos im Nabelbereich angesammelt hat. 47 Jahre ist er alt, er hat eine 22-Jährige Tochter und einen zweijährigen Enkelsohn. "Ich bin wohl der erste Opa, der bei einer alpinen Ski-WM antritt", sagt der Mann aus der Karibik und muss dabei lachen.

Dann werden seine Gesichtszüge ernster, und Roy erzählt seine Lebensgeschichte: Als er ein kleines Kind war, flüchteten seine Eltern mit ihm von Haiti nach Frankreich. Drei Wochen habe die Schifffahrt gedauert, erinnert sich Roy, der es mittlerweile zu einem Computer-Fachmann in Paris gebracht hat.

Im Oktober vergangenen Jahres war er letztmals in seiner Heimat. Er sah all das Leid nach dem verheerenden Erdbeben und den schlimmen Folgen wie Cholera. Als er über Angehörige berichtet, die er verloren habe, bricht Roy in Tränen aus. Sein Coach Thierry Montillet versucht ihn aufzubauen und wechselt das Thema: "Beim Training gestern hat es erstmals richtig nach Skifahren ausgesehen. Ich bin sehr zufrieden mit seinen Fortschritten", lobte er Roy.

Am 6. November vergangenen Jahres hatte der Internationale Skiverband Fis Haiti als offizielles Mitglied aufgenommen. Da war der Weg für Jean-Pierre Roy frei zur WM. Seither hat er 20 Tage auf Schnee trainieren können. Zu Hause in seiner Garage hat er zudem eine "Skimaschine hingebaut. Auf der kann ich die Bewegungen nach links und rechts nachmachen, um ein Gefühl für die Technik zu bekommen." Die Plattform Ski-WM, bei der er im Riesenslalom und Slalom startet, will er nutzen, um auf das Leid in Haiti aufmerksam zu machen. "In dieser Geschichte steckt sehr viel Hoffnung drin", sagt Montillet. Rossignol stellt Roy die komplette Ausrüstung zur Verfügung, die Kosten für die WM, rund 15 000 Euro, würden die beiden selbst tragen. Wenn ihm jemand eine Haiti-Spende gibt, so leitet er diese an die französische Hilfsorganisation "Secours populaire franç&#231]ais" weiter: "Wenn Geld gespendet wird, können tausende von Menschenleben gerettet werden."

Und dann ist "Rasta Piquet" in seinem Element. Der 47-Jährige tritt quasi als Fremdenverkehrsdirektor auf: "Haiti ist zwar sehr, sehr arm. Aber die Dominikanische Republik ist wunderschön. Es gibt grandiose Strände und wir haben einen 2600 Meter hohen Berg, auf dem zwei Tage im Jahr sogar Schnee liegt. Kommen Sie und machen Sie Urlaub auf Haiti." In einem Punkt unterscheidet sich der Ski-Exot deutlich von anderen Wintersport-Exoten. Roy tritt bei der WM an, um auf das Leid in seiner Heimat nachdrücklich hinzuweisen. Ein Ego-Trip wie bei manch seiner Vorgänger ist nicht auszumachen.

Jetzt muss er nur noch die Qualifikation für den Riesenslalom schaffen, die morgen ansteht. "Ich will ein gutes Bild für Haiti abgeben. Mein Ziel ist, dass ich die Qualifikation schaffe und dann mit beiden Skiern ins Ziel kommen", so "Rasta Piquet", der sich doppel-weltmeisterliche Tipps geholt hat: "Ich habe jeden Morgen mit Elisabeth Görgl gefrühstückt." Was soll da noch schief gehen. . .


Redaktion: THOMAS GRUBER