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Ski-WM in Garmisch

Der größte Exot von allen

15.02.2011, 17:04

Von Joachim Mölter

Sportlich hat Jean-Pierre Roy, 47, aus Haiti bei der Ski-WM keine Chance. Er tritt dennoch an - weil er in Garmisch daran erinnern will, dass seine zerstörte Heimat immer noch Hilfe braucht.
Die jüngere Historie von Wintersport-Großereignissen ist voll von sogenannten Exoten, Leuten aus Ländern, die fern von Schnee und Eis liegen; Leuten, die keine Chance haben und trotzdem gern gesehen sind, weil sie zur Folklore beitragen. Der Brite Michael Edwards war der erste, der sein Exotentum zu Geld machte, unter dem Künstlernamen Eddie the eagle stürzte er sich bei Olympia 1988 in Calgary von der Skisprungschanze.
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Bei gleicher Gelegenheit sauste ein Bob voller lustiger Jamaikaner durch die Eisrinne, ihre Geschichte lief später in den Kinos unter dem Titel Cool Runnings. Bei Philip Boit, einem Skilangläufer aus Kenia, reichte es dann trotz dreier Olympia-Starts (1998 bis 2006) schon nicht mehr zu einem griffigen Spitznamen. Aber immerhin zu ein paar Werbeverträgen.
Im Laufe der Jahre haben die Exoten an Reiz verloren, auch, weil manchmal zu offensichtlich war, dass sie von der Ski-Industrie zwecks Vermarktung ins Rennen geschickt wurden. Insofern könnte man es im Grunde ignorieren, dass bei der alpinen Ski-WM nun ein Großvater aus einem Karibikstaat mitmachen will. Wenn dieser Karibikstaat nicht Haiti wäre, das Land, das vor rund einem Jahr von einem Erdbeben in Trümmern gelegt worden war. Dort liegt es bis heute.

Jean-Pierre Roy, 47, hat es gesehen, als er im vorigen Herbst da gewesen ist. "Haiti war schon immer ein armes Land", sagt er, "aber jetzt ist es ein einziges Elend." Roy ist in der Hauptstadt Port-au-Prince geboren, aber in Paris aufgewachsen, sein Vater wanderte dorthin aus. Der Großteil der Familie ist in Haiti geblieben, nachdem er den besucht hatte, fand er, dass er etwas tun müsse. Die weltweite Anteilnahme am Schicksal des Landes lässt ja nach. "Haiti braucht aber immer noch Hilfe", sagt er.
Und warum will er die ausgerechnet in Garmisch-Partenkirchen holen, als Teilnehmer der alpinen Ski-WM?
Zunächst einmal, weil Jean-Pierre Roy gern Ski fährt, seit er als Achtjähriger mit der Schule im Skilager war. Seitdem, so erzählt er, war er jedes Jahr eine Woche beim Skifahren. Nun kann natürlich nicht jeder Ski-Urlauber bei einer WM mitmachen, er muss von einem Verband nominiert werden. Weil es auf Haiti keinen gab, gründete Roy einen. "Ein ganz schön bürokratischer Aufwand", findet er.
Um Aufnahme in den Ski-Weltverband Fis zu erlangen, brauchte er ein Schreiben von Haitis Olympia-Komitee, das seinen Verband anerkannte. Er brauchte eine Satzung, wofür er die des französischen Verbandes kopierte und "Frankreich" und "französisch" durch "Haiti" und "haitianisch" ersetzte. Zudem verlangt die Fis ein Präsidium. Zum Präsidenten ernannte sich Jean-Pierre Roy selbst, die anderen Ämter übertrug er an Verwandte. Rechtzeitig zum Fis-Kongress am 6. November hatte er alle Unterlagen beisammen; seitdem ist Haiti anerkanntes Fis-Mitglied.

Das Ziel: Unten ankommen

Wer an den haitianischen Skiverband schreiben will, landet freilich bei einer französischen Adresse, bei der von Thierry Montillet, einem kleinen Mann mit grauem Vollbart und Brille, der Jean-Pierre Roy bei der WM begleitet. Montillet ist Cheftrainer, Generalsekretär, Pressesprecher, Equipementmanager und vieles mehr, "man könnte mich Nationalmannschafts-Direktor nennen", sagt er und lächelt: "Aber in erster Linie bin ich sein Freund."
Thierry Montillet half seinem Freund, nach allen bürokratischen Hürden auch die sportlichen zu überwinden. Bei kleineren Rennen in Frankreich sammelte Roy im Dezember so viele Fis-Punkte, dass er an der Qualifikation für den Riesenslalom am Donnerstag und für den Slalom am Samstag teilnehmen darf. Diese Vorausscheidungen hat die Fis 2007 beziehungsweise 2009 eingeführt, weil sich zu viele Athleten für die Bewerbe angemeldet hatten und es vorkam, dass im Rennen die Startnummer 133 die Nummer 132 überholte.
Jean-Pierre Roy wird die Qualifikationen nicht überstehen, davon ist Thierry Montillet überzeugt: "Er ist kein guter Rennläufer. Sein Ziel ist, unten anzukommen." Roy erzählt, dass ihm einige Leute gesagt hätten, es sei lächerlich, was er vorhabe. Denen habe er entgegnet, dass er zeigen wolle, dass Haitinaner zu etwas fähig seien, was ihnen niemand zutraue, "und wenn man über mich lacht, ist das doch besser, als immer nur traurig zu sein, wenn man an Haiti denkt". Insofern hätte er wohl nichts gegen die zweideutige Schlagzeile "Haitis Präsident gestürzt".

Jean-Pierre Roy arbeitet mit zwei französischen Hilfsorganisationen zusammen, für die er Spenden zugunsten Haitis generieren will bei dieser WM. Jeden Tag stand er im Zielraum, und wenn ihn jemand ansprach, erzählte er seine Geschichte. Abends saß er in der Lobby des Hotels, in dem auch Österreichs Team logiert, und erzählte sie wieder - Fernsehsendern, Radiostationen, Zeitungsjournalisten.
Am Dienstag berief er eine Pressekonferenz ein, um seinen roten Rennanzug herzuzeigen, den er am Montag bekommen hatte. Thierry Montillet, der Nationalmannschafts-Direktor, wuselte dabei herum und nahm alles auf Video auf. So rührend unbeholfen wie die beiden agierten, kann kein Vermarktungsprofi hinter der Aktion stecken. Jean-Pierre Roy hat sie "weißes Gold für Haiti" genannt. Aber um Gold geht es ja überhaupt nicht.